Von den dezentralisierten Werkstätten zu den spezialisierten Händlern

Die Abgeschiedenheit und heterogene politische Struktur führten aber zu einer relativ hohen gewerblichen Freiheit. Dabei war vor allem die Reformation als Faktor in der Befreiung von der Kontrolle durch das Kloster in Werden ein wichtiges Element.

1560 bekannte sich der Prediger Winnemarus Schönfeld zum protestantischen Glauben und die gesamte Gemeinde folgte ihm. Die Velberter Gewerbefreiheit stand in starkem Kontrast zur Stadt Werden, wo das Handwerk der strengen Kontrolle der Zünfte unterlag, die eine freie Entfaltung des Gewerbes behinderten und Nichtmitgliedern nicht einmal den Handel mit Eisenwaren gestatteten. All diese Faktoren, sowie die schlechte Verkehrsanbindung des Ortes, begünstigten die Wahl des Schlosses als das bevorzugte Produkt. Da der Wert von Schlössern eher auf ihrer Technologie als auf dem Ausgangsmaterial basiert, ist ihr Nutzen im Verhältnis zu ihrem Gewicht hoch. Die Tatsache, dass man Schlösser leicht transportieren konnte, kam der eher ungünstigen geografischen Lage Velberts sehr zu Gute. Den entscheidenden Anstoß zur gewerblichen Entwicklung Velberts gab die Tatsache, dass die kargen Böden in der Umgebung für die Landwirtschaft schlecht geeignet waren. Sie lieferten den Bauern nur spärliche Erträge, sodass man schon früh auf die Einkünfte aus dem Nebenerwerb angewiesen war. Außerdem sorgte das Erbrecht, bei dem nur der älteste Sohn den Hof erbte und die Jüngeren leer ausgingen, für die Entstehung einer immer größeren Zahl kleinerer Kotten auf Rodungsland, deren Größe nicht ausreichte, um ihre Bewohner ausreichend zu ernähren.

Die Dualität zwischen Handwerk und Landwirtschaft blieb aber über Jahrhunderte bestehen und die Handwerker waren immer auch Bauern. Im Laufe der Geschichte verschob sich der Schwerpunkt immer mehr in Richtung des Gewerbes. Beide Zweige trennten sich aber erst endgültig mit der Industrialisierung voneinander.

Da die Werkstätten den Höfen angeschlossen waren, war die Produktion sehr dezentralisiert. Diese Situation begünstigte die Entstehung des Verlegersystems. Die Verleger waren spezialisierte Händler, die das Bindeglied zwischen den Haushandwerkern und ihren Märkten darstellten. Es ist wahrscheinlich, dass die ersten Verleger ursprünglich selbst Schlossmacher waren, die über ihre besonders guten Kontakte zu den Märkten in der Lage waren, sich im Laufe der Zeit ganz auf den Handel zu verlegen. Die Verleger waren aber nicht nur Händler, sondern auch Velberts Bindeglied zur Außenwelt. Für die Kleinmeister, die nur selten den Ort verließen, weil sie ihren Höfen nicht lange fernbleiben konnten, waren sie die einzigen, die Nachrichten aus der „großen weiten Welt“ nach Velbert bringen konnten. Auch konnten die Verleger, wenn sie auf den Messen neue Schlosskonstruktionen oder Beschläge der neuesten Mode sahen, diese als Muster für die lokale Produktion nach Velbert zurückbringen. Anders als bei den Fabrikanten der nachindustriellen Zeit blieben beim Verlegersystem die Produktionsmittel in den Händen der Handwerker.

Diese lockere Bindung konnte aber auch Nachteile haben. Wenn zum Beispiel auf Bestellung gearbeitet werden sollte, konnten sich die Verleger nicht immer darauf verlassen, dass die Kleinmeister über ihren unmittelbaren Geldbedarf hinaus produzierten. Die industrielle Revolution in Velbert war trotz ihrer langfristig umwälzenden Auswirkungen kein schlagartiger Umbruch, sondern vollzog sich schrittweise. Wenn man die Industrialisierung Velberts auch nicht an einem definitiven Datum festmachen kann, so gibt es doch einige Eckdaten für diese Entwicklung. Im Jahre 1834 betrieb Peter Daniel Schrick in Heiligenhaus, das damals zu Velbert gehörte, die erste Stempelpresse. 1861 erhielt Peter Furtmann in Velbert die Genehmigung für den Betrieb einer Dampfmaschine in seiner Fruchtmühle. Nur kurze Zeit später forderte das Maschinenzeitalter in Velbert sein erstes Todesopfer, als der Bruder Furtmanns bei einer Vorführung der Maschine den Rädern zu nahe kam und von ihnen erfasst wurde.

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Die neue Technologie und ihre sozialen Auswirkungen erfüllten aber auch viele Menschen mit Angst. So war es bereits bei der Aufstellung der Schrickschen Stempelpresse zu tumultartigen Ausschreitungen von Eisenhandwerkern gekommen, die um ihren Lebensunterhalt fürchteten, da die Presse in Sekundenschnelle Schlossteile ausstanzen konnte, die vorher in mühevoller Handarbeit hergestellt werden mussten.

Ursache dafür, dass das Dampfzeitalter in Velbert erst so spät Einzug hielt, war wieder die schlechte Verkehrsanbindung des Ortes, die die Versorgung mit ausreichend Kohle als Treibstoff problematisch machte. Im Nachbarort Langenberg hatte man schon 1853 eine Dampfmaschine in Betrieb genommen.

Das Verkehrsproblem wurde endgültig erst mit Anbindung Velberts an das Eisenbahnnetz im Jahre 1888 gelöst. Nun konnten bisher ungeahnte Mengen von Rohstoffen nach Velbert ein- und Fertigprodukte in alle Welt ausgeführt werden. Sicherheitstechnik und Schlossproduktion stehen immer in einem direkten Verhältnis zur gesellschaftlichen Entwicklung und Lebensweise der Menschen. In vorindustrieller Zeit lebte der größte Teil der Bevölkerung in kleinen bäuerlichen Gemeinschaften. In diesen kleinen Gemeinwesen war man, da sich die einzelnen Bewohner untereinander zumeist noch persönlich kannten, weniger stark auf mechanische Sicherungsmechanismen angewiesen. Mit der industriellen Entwicklung konzentrierte sich die Bevölkerung zunehmend in den Städten, um in der Nähe der Produktionsbetriebe zu sein. In diesem neuen städtischen Umfeld brauchte man zunehmend kompliziertere Schlösser. In Velbert lagen Ursache und Wirkung dieser Entwicklung interessanterweise sehr nah beieinander. Die ehemaligen Kleinmeister zogen von ihren Höfen in der Umgebung vermehrt in die Stadt, um in den neuen Fabriken zu arbeiten. So entwickelte sich ein erhöhtes Sicherbedürfnis, das auch entsprechend größere Produktionsmengen an hochwertigen Schlössern ermöglichte. Man errichtete Industriebetriebe mitten in der Stadt, die das Stadtbild bis in die heutige Zeit geprägt haben.